"FM o99.5" ist eine Installation für Radio und Kopfhörer,
48 Stunden lang im Raum Donaueschingen zu empfangen. Der Raum meiner Musik
ist ein medial bestimmter, die Donaueschinger Musiktage fungieren als Steinbruch
für kleine und kleinste musikalische und etwas umfangreichere textliche
(sprachliche) Materialien. An dieser Stelle möchte ich einige grundsätzliche
Überlegungen zu meiner Installation "FM o99.5" äußern,
die ich mit einem Zitat von Frank Hillberg (Positionen 8) einleite: "Den
Raum als Grundlage musikalischen Geschehens aufzufassen, scheint von erschreckender
Banalität zu sein und doch ist auffällig, wie wenig diese musikalische
Kategorie in den theoretischen Erörterungen Niederschlag gefunden
hat, wie ungegliedert die Begrifflichkeit dieser einen der zwei reinen
Formen der Anschauung (Kant), neben der Zeit, im musikalischen Vokabular
geblieben ist. Selbst einschlägige Fachlexika wie das Riemann Musiklexikon
verzeichnen lediglich Artikel, die bestimmte Probleme, meist faktischer
Natur, wie z.B. »Raumakustik« herausheben." Wenn also von Raum in musikalischer Hinsicht gesprochen wird, sind erst
einmal einige Feststellungen vonnöten, besonders in bezug auf eine
Arbeit, bei der sich der reale Raum auf die wenigen Kubikmillimeter zwischen
Kopfhörermembran und Trommelfell reduziert. So stellt sich zunächst
die Frage, was wir eigentlich unter Raum verstehen: Ist es lediglich der
architektonische Raum, der mit seinen spezifischen akustischen Eigenschaften
auf das musikalische Geschehen Einfluß nimmt, und daher zwangsläufig
zum Bestandteil der Komposition gerät, und in dem dann die Klänge
durch räumliche Verteilung der Klangquellen - inclusive deren Bewegung
bzw. der Simulation dieser Vorgänge - sich "verräumlichen"? Oder
ist es nicht mehr noch ein sozialer Raum, als Ort der Rezeption, der erst
die Voraussetzungen für eine differenzierte Wahrnehmung schafft? Tatsächlich
ist das "Ritual" des Rezeptionsverhaltens weitgehend unabhängig vom
rezipierten Werk und kann ihm daher nur sehr unzureichend entsprechen.
So ist es im allgemeinen gleichgültig, um welche Musik es sich handelt,
es ist der gleiche Ort (Konzertsaal) und, was noch viel bedeutender ist,
es ist mit ihm das gleiche gesellschaftliche Zeremoniell: das festliche
Schmücken, das gefällige Applaudieren, die kontemplative Hingabe,
die sach- und fachkundigen Pausengespräche usw., kurz: das gesellschaftliche
In-Erscheinung- treten. Ich kann mir allerdings nur wenige Musikstücke
vorstellen, für die dieses der angemessene Rahmen ist. In den Räumen, in denen Kunst zum gesellschaftlichen Ereignis wird,
bedient diese zwangsläufig die bildungsbürgerlichen Mechanismen,
gerät dabei zu einer geheuchelten Idylle, in der selbst das Elend
unserer Welt - obzwar aufgegriffen, um es kritisch zu kommentieren - noch
zum kulturellen Stimulans verkommt. Diesem Dilemma zu entkommen ist der
Kunst anscheinend nicht beschieden, ist sie doch zu sehr mit genau diesen
Voraussetzungen verwoben, und zwar in ganz besonderem Maße durch
den Raum, in dem sie in Erscheinung tritt (aus dieser Tatsache erhalten
ja gerade die Arbeiten von Duchamp und Beuys ihre besondere Wirkung). Erst
dadurch, daß der Wahrnehmungsraum, an keinen festen Ort gebunden
ist, bekommt sein sozialer (oder auch unsozialer) Aspekt eine eigentümlich
vieldeutige Funktion. Wenn ich also das Medium Rundfunk als "räumliches"
definiere, so vor allem in bezug auf den soziologischen Raum, der hier
auch zum musikalischen wird. Seit meiner ersten ortsbezogenen Arbeit in der Neuen Nationalgalerie
in Berlin sind es - angeregt durch die Architektur Mies v.d. Rohes - nicht
so sehr die physikalischen Koordinaten des Raumes, welche mich interessieren
(etwa im Sinne von wandernden Klangereignissen oder der Ausnutzung eines
speziellen Reflexionsverhaltens) sondern die Verhaltensweisen des Einzelnen
in seiner räumlichen Umgebung, wobei diese für mich vor allem
aus der besonderen Art des Zusammentreffens von Zeit und Ort
besteht. Während der Begriff Raum abstrakt und vage bleibt - ist er
doch bis zu astronomischen Dimensionen ausdehnbar und damit verallgemeinernd
- ist der Ortsbegriff stets konkret, mehr noch, im Unterschied zum Wort
Raum,
dessen assoziative Komponente dem Statischen zugewand ist, impliziert der
Begriff Ort erst die Möglichkeit von Bewegung in zeitlicher
Abfolge. Ihn als Standpunkt zu verlassen und damit seine Position zu verändern,
verweist auf eine Beweglichkeit, welche auch und vor allem als Metapher
für eine geistige Haltung anzusehen ist. Ein Ort ist immer ein konkreter
Ort und stets auf das Vorhandensein anderer
Orte angewiesen, setzt
sich also in Bezug zu diesem "Anderen". Der konkrete Ort, auf den ich mich hier beziehe, ist Donaueschingen,
der soziale Ort sind die Donaueschinger Musiktage und das Medium Rundfunk.
Aus diesem Umfeld habe ich das Material für die "Installation" zusammengestellt.
Es reflektiert gewissermaßen die Geschichte der Donaueschinger Musiktage
seit 1950 - dem Jahr, seit dem eine Rundfunkanstalt (SWF) wesentlich zum
Mitveranstalter des Festivals geworden ist; und gleichzeitig steigert es
die Reflexion der Historie bis zur Unkenntlichkeit wie in einem "Überakustischen"
Raum. Dabei wird in einem überdimensionalen Zyklus von 83 Teilen und
48 Stunden Dauer das Material auf seine verschiedenen Komponenten hin untersucht
und zu immer neuen Konstellationen montiert. Bei diesen Dimensionen gerät die "distanzierte Reflexionslust
des Gemütsvermögens" (Kant) zu den von McLuhan und Benjamin
eingenommenen Positionen des Taktilen, bei denen die Reflexion zum feed-back
wird. Walter Benjamin spricht in bezug auf die taktile Rezeption von der
Gewohnheit und stellt diese in einen Gegensatz zur Aufmerksamkeit und Sammlung
und in unmittelbaren Zusammenhang zur Rezeption der Architektur also des
Räumlichen. "Die taktile Rezeption erfolgt nicht sowohl auf dem Wege
der Aufmerksamkeit als auf dem der Gewohnheit. Der Architektur gegenüber
bestimmt diese letztere weitgehend sogar die optische Rezeption. [...] Diese
an der Architektur gebildete Rezeption hat aber unter gewissen Umständen
kanonischen Wert. Denn: »Die Aufgabe, welche in geschichtlichen Wendezeiten
dem menschlichen Wahrnehmungsapparat gestellt werden, sind auf dem Wege
der bloßenOptik, also der Kontemplation, gar nicht zu lösen.
Sie werden allmählich nach Anleitung der taktilen Rezeption, durch
Gewöhnung, bewältigt.«" (W. Benjamin) Es könnte dies die Art der Rezeption sein, die das Hörverhalten
gegenüber solchen Teilen dieser Installation wie z.B. Turbulenzen
(Nr66) und
Begegnungen des John Scott Russell (Nr35) erleichtert,
sicherlich aber ist das Sich-Einlassen auf die immense Dauer des 48stündigen
Programms ausschlaggebend. Dafür spielt im Gegensatz zur tradierten
Aufführungsform im Konzertsaal der "soziale Zwang des Verweilens"
(bei diesem Projekt, das von vornherein so angelegt ist, daß wohl
niemand alles hören kann) keine Rolle. Die utopische Anforderung an
den Hörer ist bei dieser Dimension entmutigend, vor allem, da die
83 Stücke genauestens durchorganisierte und aufeinander bezogene Strukturen
besitzen, die sowohl im Ganzen als auch in den einzelnen Teilen auskomponiert
sind. Gerade der perssnliche Umgang mit dieser Überforderung und die
daraus resultierenden individuellen Entscheidungen sind wesentlicher Bestandteil
des Projektes. Der Umgang mit der Informationsüberlastung und die
damit einhergehende Herausforderung der "Datenreduktion" bekommt hier eine
größere Bedeutung. Norbert Bolz faßt in seiner Theorie
der neuen Medien die dahingehenden Gedanken McLuhans folgendermaßen
zusammen: "In »the mythic world of electronically processed data«
ist es längst zur Alltagsnorm geworden, daß man Situationen
der Informationsüberlastung gewachsen sein muß, in denen es
stets darum geht, Konfigurationen zu erkennen. Deshalb hat McLuhan immer
wieder Poes »A Descent into Maelstrom« als literarische Urzelle
der neuen Medienwelt beschworen: Statt in Panik auszubrechen, sollten wir
den gewaltigen Ursprungsstrudel der neuen Medien cool studieren.
So wie sich jedermann heute der permanenten Informationsüberlastung
nur durch eine ikonische Form des Gegenwärtigens gewachsen zeigen
kann, so muß auch der Medienanalytiker - statt moralistisch protestierend
gegen den Strom der electronically processed data zu schwimmen -
auf rettende Konfigurationen achten." Spätestens seit Einführung der digitalen Medien kennen wir
die entscheidende Rolle der punktuellen "Abtastrate" bei der Signalübertragung.
Besonders deutlich wird dieser Schritt von der photographischen Bildfolge
des Films zu den Zeilenrasterpunkten der digitalen Bildverarbeitung. Der
einzelne Punkt enthält keinerlei Informationswert, erst das Zusammenstellen
einzelner Punkte zu einem Datenfluß ergibt ein brauchbares Signal.
Daraus ergibt sich auch für den Rezipienten eine neue Situation. "Von
den Abermillionen Punkten pro Sekunde kann der Zuschauer nur einen Bruchteil
durch ikonische Apperzeption auffassen und zu einem Bild formen. Er ist
unentwegt gezwungen, die Felder des Bildschirms durch taktile Partizipation
zu schließen." (nochmals N.Bolz) Wenn aber genau dieses Zusammenfügen
zu einem wesentlichen Teil vom Rezipienten selber bestimmt wird, muß
auch die Information zu einem noch größeren Teil als in der
"literarischen Rezeption" von diesem abhängen. Dem Informationsüberfluß
auf der einen Seite steht allerding die ausartikulierte Form auf der anderen
Seite gegenüber. Die Medienkunst und die lineare Welt der "Gutenberg-Galaxie" stehen
sich diametral gegenüber. Das Wesen der ersteren aber ist das playback
einer früheren Gegenwärtigkeit, da die Medienkunst den unmittelbaren
Zugriff auf alle Vergangenheiten ermöglicht. Das ins heimische Wohnzimmer
transportierte Abbild ist dabei allerdings seiner speziellen Aura enthoben
und wird zur geschichtslosen Geste; trotzdem neigen wir immer mehr dazu,
das Abbild mit dem Abgebildeten zu verwechseln, ganz besonders in der Musik.
Längst hat sich die Schallplatten/CD-Rezeption gleichwertig neben
dem Konzertbesuch etabliert, mehr noch, die Ikone ist im Begriff das Original
zu verdrängen, ohne dabei zu einem eigenständigen Kunstwerk zu
werden. Fatal ist dabei, die durch den Verlust der Einmaligkeit entschwundene
Aura durch ein möglichst "natur"-, bzw. "konzert"- getreues Abbild
(was immer das sein mag?) zu ersetzen. Erst wenn die Reproduzierbarkeit
selbst zum Gegenstand der Betrachtung wird, taugen die Mittel der Massenmedien
zu einer künstlerischen Formung. Das Labyrinth der Orte und
Zeiten,
deren Abbilder sich zu einer neuen Einheit montieren und damit ihre Herkunft
verfälschen - obwohl sie weiterhin die Geschichte dieser Herkunft
transportieren - muß selbst zum Gegenstand der künstlerischen
Formung avancieren. Die Narben und Furchen ihrer medientechnischen Vergewaltigung
sollten nicht weiter verdeckt werden, sondern stehen als Zeuge einer geschundenen
Aura. Alles Stille, Geformte, Meditative bleibt daher bis auf unabsehbare
Zeiten den Medien fremd. |